Hintergrund
Die OWM (Organisation der Werbungstreibenden im Markenverband) hat erneut lautstark eine vergleichbare ROI-Messung über alle Werbeformen und -kanäle hinweg gefordert.
Dies geschah zugegeben bereits vor längerer Zeit. Nichtsdestotrotz ist die Forderung, bzw. die auch die Konzeptumsetzung nach wie vor aktuell und Grund genug diesen Kommentar endlich zu veröffentlichen.
Medien-Guru Thomas Koch hat in seinem Blog bereits deutlich gemacht, dass das nicht funktionieren kann.
Da ich mich auf diesem Gebiet durchaus als wissenschaftlichen Experten bezeichnen würde und selbst geforscht habe, möchte ich die Diskussion allerdings nochmals etwas umfassender mit Blick auf die Vergleichbarkeit von “Werbewirkung” klären.
Nun kenne ich auch nur zu gut den Umstand, dass gerade werbetreibende Unternehmen stets wissen wollen, ob Maßnahme A denn jetzt besser funktioniert als Maßnahme B. Die Frage an sich ist legitim. Wenn wir aber ehrlich sein, eine kompetente Antwort geben, das große Dilemma endlich lösen und die Menschheit ein Stück weiter bringen wollen, müssen wir auf diese Fragestellung auch ehrlich antworten.
Antwort: Ein Vergleich ist nicht praktikabel und erst recht nicht sinnvoll, wenn man wirklich erfolgreich sein möchte.
Natürlich ist ein halbwegs valides Ranking unter stark limitierenden Annahmen in der Theorie möglich — man könnte etwa bestimmen, wie stark die einzelnen Sub-Effekte der Werbewirkung über unterschiedliche Kanäle hinweg verändert werden und jeweils untereinander vergleichen. Dies wäre allerdings zum einen viel zu teuer und zum anderen sehr zeitaufwändig. Auch würden diese Ergebnisse nichts an der Tatsache ändert, dass unterschiedliche Maßnahmen nun einmal unterschiedliche funktionieren und wirken; dass es entsprechend auf einen klugen Marketing-Mix und -Strategie ankommt — das Ergebnis wäre also trotz immenser Kosten im Sinne der OWM kaum brauchbar.
Die Mär der allgemeingültigen ROI-Messung
Die Idee, unterschiedliche Marketing-Kanäle mit einer einfachen expliziten Umfrage hinsichtlich ihrer Werbewirkung pauschal vergleichbar zu machen kann nicht funktionieren — ganz einfach deshalb, weil jeder Kanal andere Effekte begünstigt und unterschiedliche Zielgruppen unterschiedlich anspricht.
So befinden sich Konsumenten bei einer Online-Suche in einer gänzlich anderen Situation, als wenn sie beim Frühstück den Fernseher laufen lassen. Eine Google AdWords Anzeige wird also bspw. dann ausgespielt, wenn der Konsument sowieso gerade kaufen möchte, während im zweiten Szenario vielleicht nicht einmal die Möglichkeit besteht, dass die Botschaft bewusst verarbeitet wird. Auf der anderen Seite hat die TV-Werbung den Konsumenten möglicherweise bereits auf einen bestimmten Anbieter vorbereitet, weshalb er online auf die 3. und eben nicht die 2. Anzeige klickt. Welcher Kanal wirkt nun besser?
Ein anderes Beispiel: Gerade die jüngere Generation akzeptiert Werbung am ehesten, wenn sie nicht frontal unterrichtet, sondern in direkte Kommunikation tritt. So bindet Marke ABC tausende potenzielle Kunden durch eine umfassende Social Media Kampagne samt Live-Events. Die Mutter von Max Mustermann weiß, dass ihr Sohn Marke ABC toll findet und weist ihn auf einen Spezial-Deal hin, der in der Tageszeitung platziert ist. Aufgrund des hohen Involvements mit der Marke wird der Deal genutzt. Welcher Kanal weißt eine höhere Werbewirkung auf — Social Media (online) oder Print?
Ein letztes Beispiel: Max liest keine Zeitung, seine Mutter ist nicht auf Facebook angemeldet. Welcher Kanal eignet sich besser für Zahnpasta-Anzeigen?
Diese Beispiele sollten gut gezeigt haben, dass Werbung nicht nach dem einfachen Prinzip “ich schalte Anzeige A auf Kanal B und verkaufe X mehr C” funktioniert. Werbewirkung ist letzten Endes die Kombination einer Vielzahl an Effekten, die mal etwas direkter, mal eher indirekt zu mehr Absatz führen (können) — abgesehen davon, dass sich dies auch noch je nach Branche, Produkt, Zielgruppe, Phase des Kaufprozesses oder gar Jahreszeit unterscheidet.
Nun berücksichtigt der Plan der OWM allerdings im Grunde nur einen Effekt — den direkten Abverkauf (bzw. die explizite Absicht zum Kauf). Marketingkanäle darauf zu reduzieren macht sie zwar in gewisser Weise vergleichbar, führt aber auch dazu, dass man gewaltiges Potenzial unbeachtet liegen lässt und damit am Ende bilanztechnisch höchstwahrscheinlich deutlich schlechter fährt. Es gilt Werbewirkung nicht nur einfach ökonomisch, sondern auch hinsichtlich der psychologischen Determinanten zu definieren — schließlich ist ein Kaufprozess in 99% der Fälle das Resultat bewusster und unbewusster kognitiver Prozesse und keine einfache, rein rationale Rechengleichung.
Werbewirkung: Viele Experten machen es sich zu einfach
Letzten Endes wird hier über die Werbewirkung einzelner Kanäle diskutiert, wobei mit “Werbewirkung” lediglich gemeint ist, ob eine Maßnahme explizit und direkt zu einer Kaufhandlung führt (rein ökonomische Betrachtung). Dies ist allerdings nur ein kleiner Teil des Konstrukts der Werbewirkung.
Werbung wirkt quasi immer — mal stärker, mal schwächer, mal direkt, mal indirekt, mal explizit, mal implizit, mal bewusst, mal unbewusst. Als Beispiel soll an dieser Stelle der Effekt genannt sein, bei dem Werbung dazu führt, dass eine Marke einem Konsumenten geläufiger ist und er bei einem erneuten Werbekontakt eher kauft (Processing Fluency, bzw. auch Mere-Exposure).
Wer das Thema also nicht in dieser Komplexität (auch psychologisch) betrachtet, wird es letzten Endes niemals schaffen, sein Marketing ideal auszurichten. In den meisten Fällen wird bei einem Vergleich, der rein auf explizite Kaufreaktionen ausgerichtet ist, zudem Online-Performance-Marketing gewinnen — schließlich ist diese Maßnahme zu 100% auf eine explizite Reaktion des Konsumenten ausgerichtet. Eine Conversion-Rate (CR) < 100% kann hier gemäß der (viel zu) einfachen Werbewirkungsbetrachtung nur an schlechter Umsetzung oder Klick-Betrug liegen. Natürlich kann auch TV-Werbung zu einer Kaufabsicht führen und theoretisch kann dieser Kanal besser abschneiden, wenn er bei gleicher CR günstiger ist — aber selbst in diesem Fall verschenkt man Potenzial, weil in dem Moment bspw. Online-Kunden gar nicht mehr angesprochen werden.
Wer allerdings begreift, dass Werbewirkung weit mehr ist, stellt möglicherweise fest, dass sich TV bei seinem Produkt ideal dazu eignet, Personen anzulocken, um sie dann durch SEA zum Abschluss zu bringen, via Radio und Print am Ball zu halten und via Remarketing und klassischem Retention-Sales zum Folge-Kauf zu bringen. Wer das erkannt hat kann mit seinem Unternehmen die Welt erobern. Nicht ohne Grund gehören die intelligentesten Online-Werber Amazon oder CHECK24 auch zu den größten TV-Werbern (Quelle).
Wie es theoretisch funktionieren kann
Nun ist es aber ja nicht so, dass es wirklich gar keine Möglichkeit gäbe, unterschiedliche Kanäle hinsichtlich ihrer Werbewirkung als Ganzes zu vergleichen. Damit dieser Vergleich allerdings alle Eigenheiten und Effekte berücksichtigt, ist leider etwas mehr nötig, als von der OWM vorgeschlagen.
So müssten wie eingangs angedeutet für jeden relevanten Werbewirkungseffekt umfassende (nicht nur explizit abfragende) Studien je Kanal umgesetzt werden. Über diese einzelnen Kennzahlen könnte man wiederum die Kanäle miteinander vergleichen. Gemäß diesem Schema vergleichen wir etwa auch bei Placedise unterschiedliche Product Placement Maßnahmen miteinander (aber wohlgemerkt nur innerhalb dieses einen Kanals!).
Wieso auch das nichts bringt
Dieses Vorgehen hätte allerdings zur Folge, dass man weniger einen “Sieger” ermittelt, sondern vielmehr einen Eindruck gewinnt, welcher Kanal sich am besten für welchen Effekt eignet. Hierdurch könnte man wiederum die beste Marketing-Strategie mit dem idealen Marketing-Mix entwickeln — wie oben angedeutet.
Dies ist allerdings zum einen nicht das, was bspw. die OWM möchte (es gibt wie gesagt nicht DEN “Gewinner”), zum anderen wäre es sehr teuer. Setzt man es günstiger und einfacher um, kommen wir wieder zu einem anderen großes Problem des OWM-Vorgehens: Nämlich die einfache, explizite Abfrage von Effekten. Da viele wesentliche Wirkungen unterbewusst ablaufen, verhält sich dies, als würde man eine Software evaluieren, indem man den Laptop betrachtet.
Fazit
Letzten Endes muss man zugeben, dass jeder Versuch höchst unterschiedliche Marketing-Kanäle hinsichtlich ihrer Wirkung direkt vergleichbar zu machen in eine Sackgasse führt. Theoretisch besteht in der Zukunft die Möglichkeit, dass eine künstliche Intelligenz alle Daten dieser Welt zusammenwirft, analysiert, das menschliche Gehirn simuliert und auf Basis dessen den perfekten Marketing-Mix empfiehlt. Allerdings wäre auch das nicht im Sinne der OWM, denn auch dann wird noch gelten, dass unterschiedliche Maßnahmen unterschiedliche Vorteile haben und eben unterschiedlich wirken. Diese Erkenntnis weiter zu tragen und auch jedem “Experten” zu vermitteln sollte das eigentliche Ziel der OWM sein — anstatt ein neues Märchen um eine alte Sage herumzudichten.
Bei der Ausgestaltung von Marketing-Kampagnen muss der Fokus wieder stärker auf das Verhalten und die Psyche der Konsumenten gerichtet werden. Dies muss über einfache explizite Umfragen hinaus gehen oder man kann sich den Aufwand sparen. Die Wirkung von Werbung ist kein banaler Effekt und wird es auch durch offizielle Forderungen nie werden.